Carina Konrad

Einflussnahme von Lobbyisten auf politische Entscheidungen

Zwei Schülerinnen der Martin-Buber-Oberschule in Berlin-Spandau haben mich im Vorfeld ihrer Abiturprüfung in Politikwissenschaften interviewt. Das Thema lautete: „Einflussnahme von Lobbyisten auf politische Entscheidungen in der EU - zum europäischen Vorteil oder nur im Interesse weniger Firmen? Eine Untersuchung am Beispiel des Einsatzes von Glyphosat“. Die beiden haben mir netterweise gestattet, das Interview auf meiner Website zu veröffentlichen - vielen Dank dafür!

1. Was halten Sie von der Verlängerung des Glyphosat-Einsatzes?

Carina Konrad MdB: Die öffentliche Debatte um Glyphosat ist zu einer Stellvertreterdebatte um den zukünftigen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln in Deutschland geworden. In der Vergangenheit wurden Zulassungsentscheidungen für Pflanzenschutzmittel auf Behördenebene anhand wissenschaftlicher Berichte und von Experten getroffen, seit der Debatte um Glyphosat ist die Debatte eine politische. Politische Entscheidungen werden oft geleitet von Parteiprogrammatik und sind damit weder zwingend wissenschaftlich noch rational.

Ich persönlich bin als gelernte Landwirtin und Agraringenieurin davon überzeugt, dass eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die die Interessen der Kunden mit den wirtschaftlichen Zwängen der Landwirtschaft in Einklang bringt, nur gelingen kann, wenn auf guten Böden hohe Erträge realisiert werden und dafür im Gegenzug magere Flächen als Ausgleich für den Naturschutz zur Verfügung gestellt werden. Für eine produktive Landwirtschaft brauchen wir Pflanzenschutzmittel und dafür brauchen wir auch heute Glyphosat, denn es gibt  derzeit keine bessere Alternative. Das hat uns auch die Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage bestätigt.

Ich kann Ihnen das an einem konkreten Beispiel aufzeigen: Pelargonsäure wird in den Kommunen vielfach als Unkrautbeseitiger eingesetzt, da sie als schonende Alternative gilt und als umweltfreundlich empfohlen wird. Allein dem Sicherheitsdatenblatt ist jedoch zu entnehmen, dass das Mittel schwerste Verätzungen der Haut sowie schwere Augenschäden hervorruft. Des Weiteren muss man 80-mal so viel verwenden wie von Glyphosat, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen: Die Aufwandmenge liegt bei Pelargonsäure bei 668 Liter Wirkstoff/ha/a. Bei Glyphosat liegt sie bei 8 Litern/ha/a. D. h. jeder Liter Glyphosat, der durch Pelargonsäure ersetzt wird, muss, um denselben Effekt zu erzielen,  durch 83,5 Liter dieses Wirkstoffes substituiert werden. Das kann in meinen Augen nicht ernsthaft die umweltfreundliche Alternative zu Glyphosat sein.

2. Haben Sie sich in irgendeiner Form für oder gegen Glyphosat eingesetzt? Wenn ja, was waren Ihre Beweggründe?

CK: Glyphosat ist ein Totalherbizid. Es wird vor der Aussaat ca. alle vier Jahre einmal eingesetzt, um den sogenannten „reinen Tisch“ zu machen, das heißt, Unkräuter zu beseitigen, die das Wachstum und den Ertrag der Kultur wie Weizen stark verringern würden. Die Landwirtschaft kann sofort auf den Einsatz von Glyphosat verzichten und im Gegenzug den Pflug einsetzen. Der Einfluss auf die Biodiversität ist die gleiche, denn in beiden Fällen ist das Unkraut weg, nur wird beim Pflugeinsatz viel mehr Treibstoff verbraucht und organisch im Boden gebundenes CO2 freigesetzt. Unsere Böden sind übrigens weltweit der größte Speicher von CO2, sie binden sogar noch mehr als Wälder. Glyphosat durch Diesel zu ersetzen und zusätzlich noch CO2 freizusetzen, halte ich mit Blick auf das Erreichen der Klimaziele für keine gute Strategie. Das Ziel muss es sein, die Speicherung von CO2 über die Humusbildung zu fördern und nicht die Freisetzung zu fordern!

Aber auf der anderen Seite bin ich auch der Meinung, dass Glyphosat und andere Pflanzenschutzmittel nichts in den Händen von privaten Anwendern zu suchen haben, die keine Kenntnis von sachgemäßer Anwendung haben. Der Verkauf und die Anwendung im privaten Bereich sind oft die Ursache für die Einträge in Gewässer, weil die Mittel unsachgemäß angewendet werden. Zum Schutz von Mensch und Umwelt muss das verboten werden.

3. Ist Monsanto der einzige Interessent der Genehmigung oder gibt es mehrere Interessenten?

CK: Der größte Interessent an einer bodenschonenden und nachhaltigen Landbewirtschaftung sind wir alle. Aber Sie beziehen sich in ihrer Frage auf den Verkauf der Produkte. Neben Monsanto vertreiben noch mindestens zehn andere Firmen glyphosathaltige Produkte für die Landwirtschaft, und etliche weitere vertreiben diese für den privaten Bereich. Ein deutsches Verbot des Einsatzes glyphosathaltiger Mittel würde aber diese Firmen nicht schädigen, denn die verkauften Mengen in Deutschland sind ohnehin sehr gering und spielen im weltweiten Absatz eine untergeordnete Rolle.

4. Inwiefern fließen Ihrer Meinung nach die Interessen der Bevölkerung in diese politische Entscheidung mit ein?

CK: Die Masse der Bevölkerung verfolgt politische Entscheidungen schweigend, mit unterschiedlich hohem Interesse, je nach der individuellen Lebenswirklichkeit. Das sieht man auch daran, dass nur sehr wenige Menschen heute insgesamt noch Mitglied einer Partei sind und sich dort aktiv einbringen, um tatsächlich Politik zu gestalten.

Bürgerinitiativen bilden sich oft, weil Menschen das Interesse an einem Thema bewegt. Diese Bürgerinitiativen schaffen es durch ihren Zusammenhalt und ihre klare Botschaft, sich schnell Gehör in der Politik zu verschaffen und Entscheidungen dadurch zu beeinflussen. Oft gelingt es auch durch eine Bürgerinitiative überhaupt erst, die nötige Aufmerksamkeit für ein Thema zu bekommen. Das haben wir bei der Windkraft erlebt. Es waren Bürgerinitiativen, die dem Hype um die Windkraft ein Ende bereiten konnten, indem sie die negativen Einflüsse auf Natur und Mensch zum Thema gemacht haben.

5. Welchen Einfluss besitzen Ihrer Meinung nach die Bauern(-verbände)?

CK: Nach meiner Erfahrung ist der Bauernverband ein Interessensvertreter genauso wie diverse Ökoverbände, der Jagdverband, aber auch wie etliche Tierschutzverbände, PETA, die Deutsche Umwelthilfe und andere NGOs. Sie alle eint das Interesse daran, politische Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen zu wollen. Verbände haben allerdings im Gegensatz zu NGOs in der Regel eine sehr homogene Mitgliederschaft, die regelmäßig Beiträge zahlen und damit die finanzielle Basis des Verbandes sichern. NGOs dagegen müssen für diese finanzielle Basis sehr stark kämpfen, daher sind die lautesten Meldungen nach meiner Erfahrung nicht immer die besten. Ich treffe mich als Politikerin mit allen Interessensvertretern und höre mir die Argumente an. Ich bin natürlich aufgrund meiner Erfahrung, die ich als praktische Landwirtin habe, nicht komplett unvoreingenommen; das wäre ja auch schlimm.  Als Expertin auf meinem Gebiet lege ich sehr großen Wert darauf, die Hoheit über meine politische Agenda selbst zu bestimmen und mir weder von Verbänden noch von NGOs etwas diktieren zu lassen.

Diese Unabhängigkeit haben leider lange nicht alle. Viele Politiker, Staatssekretäre und auch Minister waren oder sind auch in Gremien und Aufsichtsräten tätig, und natürlich dann auch voreingenommen. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, war jahrelang hauptamtlicher Präsident des NABU. Wer das weiß, kann die politische Agenda des BMU auch besser bewerten.

6. Warum gab es für den damaligen Landwirtschaftsminister Schmidt keine Konsequenzen dafür, dass er entgegen dem Regierungsauftrag seine Zustimmung zur weiteren Anwendung von Glyphosat erteilt hat?

CK: Das müssen Sie die Bundeskanzlerin fragen, aber ich stelle fest, dass diese Entscheidung in der heißen Wahlkampfphase der CDU/CSU in Bezug auf das Wahlverhalten einiger Personengruppen nicht geschadet, sondern genützt hat.

7. Ist es ein Problem für die Glaubwürdigkeit, wenn Experten, die wirtschaftliche Verbindungen zu Monsanto haben, wissenschaftliche Expertisen für die EU erstellen?

CK: Für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gibt es festgelegte Zulassungsprozesse. Diese sehen auch vor, dass die Firmen, die die Zulassung für ihre Produkte beantragen, Versuche durchführen müssen, die sehr viel Geld kosten und auch von den Antragsstellern finanziert werden müssen, nach vorgeschriebenen Kriterien, und diese Unterlagen mit einreichen müssen. Die Zulassungsentscheidung treffen dann die Behörden, zusammen mit dem BfR, dem Bundesamt für Risikobewertung. Die EU hat einheitliche Kriterien festgelegt, die für alle Mitgliedsstaaten gelten.

8. Darf die Regierung, um Wachstum und Wohlstand zu erreichen, zugunsten der Wirtschaft die Interessen ihrer Bevölkerung geringer gewichten?

CK: Sie muss das eine tun und das andere muss sie auch tun. Aber demokratisch gewählte Volksvertreter haben die Aufgabe, im Interesse der Bürger ihres Landes zu handeln.

9. Welche langfristigen Auswirkungen hat diese Entscheidung auf das Bild der EU, der Wirtschaft und der Umwelt?

CK: Die Entscheidung um die Zulassungsverlängerung von Glyphosat um fünf Jahre war eine, die sehr stark medial stattfand. Insgesamt steht die EU mit Blick auf den anstehenden Brexit vor großen Herausforderungen. Deshalb ist die diesjährige Europawahl eine sehr wichtige, und ich wünsche mir, dass viele Menschen diese Wahl ernstnehmen und hingehen.

10. Halten Sie es für realistisch, dass die Strategie “Europa 2020” realisiert werden kann und wo sehen Sie Umsetzungsprobleme?

CK: Die Landwirtschaft von morgen steht vor großen Herausforderungen. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 voraussichtlich auf fast zehn Milliarden Menschen anwachsen und es wird eine enorme Aufgabe sein, auch in Zukunft genügend gesunde, sichere und erschwingliche Nahrungsmittel herzustellen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht von einer notwendigen Produktivitätssteigerung von fast 50 Prozent bis zum Jahr 2050 gegenüber 2012 aus.
 
Aus Sicht der Freien Demokraten ist der Schlüssel, um diese Herausforderungen zu lösen, Innovation. Wir brauchen Pflanzen, die extreme Temperaturen und Trockenheit besser vertragen (das haben wir ganz deutlich im vergangenen Jahr gesehen). Wir brauchen neue digitale Technologien, etwa um Pflanzenschutzmittel gezielt nur da einzusetzen, wo sie wirklich gebraucht werden. Dafür wiederum bedarf es einer stabilen, verlässlichen digitalen Infrastruktur besonders auch „auf dem Acker“, also im ländlichen Raum.
 
Daneben werden wir auch in Zukunft innovative, wirksame Pflanzenschutzmittel benötigen. Denn die Kulturpflanzen, von denen wir leben, müssen sich zum Beispiel gegen 30.000 Unkrautarten und 10.000 Arten pflanzenfressender Insekten behaupten. 
 
Mir geht es sehr darum, die Landwirtschaft produktiver und nachhaltiger gestalten zu können, daher setzen wir uns mit Nachdruck für Innovation ein und sehen die Zukunft moderner Landwirtschaft besonders im Bereich des Smart Farming. Hiermit können wir den Fortschritt alles Nachhaltigen messen. Sowohl im Betrieb als auch auf dem Acker und im Stall. Die in der Landwirtschaft erzeugte Wertschöpfung hängt in Zukunft von einer ausreichenden Anbindung an Telekommunikation ab. Solange die Bundesregierung das nicht erkennt und die Infrastruktur hierfür herstellt, wird Deutschland zukünftig keine Chance haben, auf dem europäischen Markt, geschweige denn weltweit, zu bestehen.