Carina Konrad

Tierwohl im Supermarkt

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Beim Einkaufen von Fleisch herrscht nicht nur an Weihnachten zunehmend Verwirrung. Wer seine Gans nicht regional, aber mit Blick aufs Tierwohl im Supermarkt kaufen will, ist verloren im Label-Dschungel. Was wir von der Marke „Bio“ lernen können. 

Gretchenfrage zu Weihnachten: Wurst oder Gans?

„Was gibt’s bei euch an Heiligabend?“ Die Frage stellt man sich in der besinnlich-hektischen Vorweihnachtszeit in meinem Freundeskreis jedes Jahr. Gemeint ist aber nicht, welche Geschenke es gibt, sondern welches Festessen – denn das soll zu Weihnachten etwas Besonderes sein. Während die einen traditionell auf Würstchen mit Kartoffelsalat setzen, ist für die anderen die Weihnachtsgans das einzig Wahre. Egal, wie die Entscheidung ausfällt: Wichtig ist in meinem Bekanntenkreis, von welchem Metzger das Fleisch kommt. Regionalität genießt bei uns hohe Priorität. Auch wenn der Griff im Alltag oft zum Frischfleisch aus der Kühltheke geht, soll es zum Weihnachtsfest etwas Besonderes sein.

Verloren im Label-Dschungel 

Doch besonders an der Kühltheke und am Frischeregal herrscht zunehmend Verwirrung. Denn in unserer Gesellschaft, die sich weit entfernt hat von Tierhaltung und Fleischerzeugung, wird die ethische Frage danach, ob man Fleisch konsumieren sollte und wenn ja, wie viel, zunehmend zu einer Gewissensfrage. Tierwohllabel und Tierwohlkennzeichen sollen deshalb den Kunden helfen, ihre Kaufentscheidung vertrauensvoll zu treffen. Inzwischen existiert ein wahrer Label-Dschungel, jeder Discounter hat sein eigenes Tierwohllabel, aufgebaut als drei- oder vierstufiges Modell. Allen gemeinsam ist eines: das Versprechen, dass die Tiere vor ihrem Tod ein gutes Leben hatten.

Tierwohlsiegel, Haltungskennzeichen, Label, so weit das Auge reicht. Das ist von wünschenswerter Transparenz weit entfernt und selbst für Profis verwirrend. Wie soll der Durchschnittskunde da den Überblick behalten? Diese Frage stellt sich auch das Bundeslandwirtschaftsministerium, das seit Jahren die Einführung eines staatlichen Labels auf freiwilliger Basis plant. Ist das die Lösung? Ein Label wird nur erfolgreich sein, wenn es eine hohe Marktdurchdringung, einen hohen Bekanntheitsgrad und damit großes Vertrauen in der Bevölkerung erreicht.

Dabei dürfen die Preisaufschläge je nach Stufe an der Kasse nur moderat sein. Experten halten 10-30 % für realistisch. Die Voraussetzung für ein Label ist allerdings eine höhere Wertschöpfung, denn Investitionen in Tierwohl kosten Geld. Und deshalb muss es auch Kunden geben, die bereit sind, an der Ladentheke mehr Geld für Fleisch auszugeben. Nun ist aber nicht jeden Tag Weihnachten – wie kann man also die Zahlungsbereitschaft auch an „normalen“ Tagen steigern?

Von der Marke „Bio“ lernen

Die Biobranche nimmt hier eine gewisse Vorreiterrolle ein, hat sie doch bereits etwas sehr Wichtiges geschafft: „Bio“ zur Marke zu machen. Bioprodukte gelten weithin als gesund, umweltfreundlich und nachhaltig. Höhere Preise sind deshalb weitgehend akzeptiert. Warum? Weil die Menschen dem Biosiegel vertrauen. Glaubt man der öffentlichen Meinung, möchte man meinen, dass Bioprodukte längst die konventionellen Erzeugnisse abgelöst haben. In der Realität werden aber weit über 90 % konventionelle Lebensmittel verkauft – und damit auch konsumiert. Der Bio-Markt wächst nach wie vor, aber langsam. Und die Branche ist zu recht sensibel und möchte nicht mehr produzieren, als der Markt nachfragt – das ist richtig, denn nicht jeder Marktfehler muss wiederholt werden.

Doch auch konventionelles Fleisch darf mit gutem Gewissen gekauft werden. In Deutschland werden hohe Anforderungen an die Haltung und den Schutz von Tieren gestellt. Es gibt zahlreiche nachhaltige, umwelt- und tierfreundliche Haltungsformen in der konventionellen Tierhaltung. Diese sichtbar zu machen, bringt einen Mehrwert.

Der Mensch macht das Tierwohl

Ein Label muss vor allem eines sein: glaubwürdig! In Schranken zu denken, wird das Aus für das staatliche Label sein – und das schon, bevor es überhaupt auf dem Markt ist. Denn selbst die teuerste Marketingkampagne kann kein Vertrauen kaufen, weder auf Anbieter- noch auf Nachfrageseite. Vertrauen gibt es nur, wenn die Kriterien sich nicht stumpfsinnig an alten Reflexen ausrichten und sich alleine auf Stallmaße in Zentimetern beziehen. Damit würden zahlreiche sehr gute Landwirte, deren einziges „Manko“ ein alter und damit falscher Stall ist, von Vornherein ausgeschlossen.

Tierwohl ist aber nicht nur eine Frage der Haltungsform, sondern vorrangig des Managements, und das wird vom Menschen beeinflusst. Landwirte sind so unterschiedlich wie die Tiere, die sie halten. Neben Wissen entscheidet aber oft der innere Kompass des einzelnen Landwirts zwischen guter und sehr guter Haltung. Deshalb soll und muss das neue Label auf Produktionsseite auch Chancen eröffnen können und einem Landwirt mit einem alten Stall die Perspektive bieten, nach oben zu kommen.

Die Durchlässigkeit, der Wechsel zwischen Stufen ist zentral für den Erfolg. Genauso wenig, wie ein Biobetrieb automatisch die oberste Stufe erreichen sollte, darf man konventionellen Betrieben die Möglichkeit verwehren, diese auch erreichen zu können. Auf Erzeugerseite muss ein Label dazu dienen, alle Landwirte zu motivieren, mit ihrer Haltungsform auch das nächste Level erreichen zu können. Und gleichzeitig muss jeder wissen, dass Fehler Konsequenzen haben und man zurückgestuft werden kann. Ein funktionierendes Kontrollsystem und eine hohe Durchlässigkeit in beide Richtungen sind dabei essenziell.

Label muss glaubwürdig sein: Es geht um die Tiere

Ich zweifele stark daran, dass so etwas auf freiwilliger Basis erreicht werden kann. Die Kunden müssen sich auf ein Label verlassen können. Dafür müssen sie auch die aktive Wahl haben im Kühlregal. Diese wird es allerdings nicht geben, wenn keine nennenswerten Marktanteile mit dem System generiert werden können. Auch wenn nicht jeden Tag Weihnachten ist, muss eine Kennzeichnung es schaffen, ihren Mehrwert sichtbar zu machen. Deshalb muss das Tier im Fokus stehen.

 

Der Gastbeitrag ist bei FOCUS Online erschienen.